12./13.08.2017 Gehschul-Workshop am Seddiner See

 Gehschul-Workshop vom 12.08. – 13.08.2017 am Seddiner See

 

Mitten im Sommer, doch leicht unterkühlt durch den Regen, reisten die Ersten von uns am Freitagabend an und waren begeistert von dem schönen Gelände der „Heimvolkshochschule am Seddiner See“.  Vom Forsthaus aus hatten wir während des gemeinsamen Abendessens einen wunderbaren Blick auf das abschüssige Geländen und den See zu unseren Füßen. Der Ort hätte nicht besser gewählt sein können! Anschließend besetzten wir den „Seekeller“ im Gewölbe des Forsthauses. Eine gemütliche Gästestube in der das Bier selbst gezapft werden konnte und auch sonst alles an Getränken zu haben war, was halt so in eine Gaststube gehört.

Manuela Jukiel, unsere oberschenkelamputierte Gehschultrainerin, war gemeinsam mit ihrem Mann Siegfried angereist. Die Atmosphäre so entspannt und vergnügt, als würden wir alle schon jahrelang allwöchentlich gemeinsam kegeln. Mir fehlte an diesem Abend nur eines – ein Spitzer Stift und ein Notizblock, um all die vielen Tipps zu notieren, die Manuela im Laufe des Abends ganz nebenbei für uns parat hatte. Wer kennt nicht den Verweis der notwendigen Doppelamputation für das Merkzeichen aG im Bescheid des LAGeSo zum Behindertenausweis, aber dem Zitat fehlt oft der Hinweis, dass neben  Menschen mit Querschnittslähmungen oder Amputationen beider Beine oder beider Unterschenkel, auch Menschen mit weiteren Störungen wie des kardiovaskulären oder des Atmungssystems dieses Merkzeichen bekommen können. In meinem Bescheid fehlte er.

Am nächsten Morgen ein perfektes Frühstück und dann rein in den Seminarraum. 

Als Erstes hören wir von Herrn Christian Konerow, was es Neues und Bewährtes aus dem Hause Össur gibt. Was spielt bei der Entwicklung von Prothesen eine Rolle bei Össur, wie funktioniert eine Prothese, wie kann der Amputierte durch optimale Energierückgewinnung Kraft sparen, welchen Komfort bieten z.B. die Füße durch Rotation,  Abfederung, die gespaltene Karbonfeder, das Nachempfinden eines Fußgelenkes.  Dann noch eine Einführung in das „Rheo Knee 3“ und was es alles kann. Ergänzt wurden die Ausführungen durch kleine Filme, in denen das Knie in Aktion gezeigt wurde. Wir haben die Prothesen in die Hand bekommen und besonders über das geringe Gewicht des Cheetah Xplore gestaunt, der gleich ein paar Begeisterte fand. Und nachdem Siegfried, der ihn schon lange als Alltagsprothese trägt, ihn noch vorführt, auch als Schwimmprothese, und seine Vorteile rühmt, besonders seine Flexibilität und andere angenehme Trageeigenschaften, steht fest, den wollen wir Probelaufen!  Wann wissen wir noch nicht, aber verabredet sind wir mit Össur dazu.

Natürlich haben wir alles über Prothetik schon mal gelesen und gehört, doch ich persönlich kann das nicht oft genug hören, entdecke ich doch auch immer Neues und bekomme Input für meine Überlegungen, was für mich wichtig ist und wie ich mir meine optimale Prothese vorstelle. Da macht jeder Amputierte seine ganz eigene Entwicklung durch bzw. ist jeder beständig in Entwicklung.

Dann ein gemeinsames Foto und um uns zu stärken kleine Kaffeepause.

Nun folgt Sebastian Lindemann, der als Prothesentechniker vor allem für das „Very Good Knee - VGK“ in Deutschland unterwegs ist. Die Idee für das VGK S stammt von Karl Feichtinger, Vertriebsleiter des VGK und selbst oberschenkelamputiert, weil er dachte „...da geht doch noch mehr!“. Das VGK GO wurde dann von Firmengründer Jacob Boender entwickelt. Auch sehr kurze Stümpfe und Hüftexartikulierte können hiermit versorgt werden. Laienhaft ausgedrückt, wird dann, dass Knie so eingepasst, dass es zu einem Teil des Oberschenkels wird – sowas hatte ich noch nie gesehen – was aber den Vorteil eines körpernahen Massenschwerpunktes mit niedrigem Gewicht hat, so dass die Prothese viel leichter und sicherer zu führen ist.

Wir sehen einen Film, wie jemand die Treppe steigt, das sieht einfach großartig aus. Eine Nachfrage aus der staunenden Zuhörerschaft, nach der Hydraulik und wie sie sich bei Minustemperaturen verhält (Knie anderer Hersteller sind dann nicht mehr zu bewegen)  wird so beantwortet, dass mit dem VGK solche Probleme unbekannt sind und auch hohe Temperaturen wie z.B. betriebsbedingte Erwärmung durch das Knie automatisch kompensiert werden. Auch Zusatzlasten gleicht das Knie aus. Hinknien, Fahrradfahren und Schwimmen, alles ist möglich. Es ist wasserfest und völlig unabhängig von externer Energieversorgung. Donnerwetter!

Was für Otto normal und für extra mobile Abenteurer. Dieses Knie ist  in der Bündelung  seiner Eigenschaften einfach außergewöhnlich. Sebastian ist auf alles vorbereitet und so können Manuela und Tony es Testlaufen. Sie sind beeindruckt und, wenn ich sie damit so laufen sehe, bin ich es noch viel mehr.

Auf geht's zur Mittagspause.

Dann Gehschule. Manuela stellt sich vor und berichtet, dass das Sanitätshaus Rosenau GmbH sie ansprach, weil sie jemanden suchten, der den durch sie versorgten Amputierten das Laufen mit der Prothese beibringen sollte. Das macht sie nun seitdem und wer wäre dafür besser geeignet als sie – ausgebildete Physiotherapeutin, erst Unterschenkel-, dann Oberschenkelamputiert, Manuela kennt alle Perspektiven. 

Und dann sind wir mittendrin, „Last“ und „Prothese“ hören wir in unendlich vielen Variationen, damit wir das behalten, denn es klingt doch einfach zu simpel – „gib Last auf die Prothese“! Und doch, ist es das EINFACHE, was verankert werden muss, bis man nicht mehr daran denkt, sondern es  EINFACH J macht. Und doch ist es wohl das Einfache, was die tollsten Ergebnisse bringt, das merken wir alle beim Vorlaufen. „Na dann lauf mal! Was meint ihr, was ist euch aufgefallen...?“ Ich denke „schön Last geben“ und laufe los. „Ja, toll Katharina, aber, was habt ihr gesehen? Richtig, K. läuft x-beinig mit dem Prothesenbein, da muss der Prothesenbauer noch mal ran. Nein, auch bei sehr kurzem Stumpf muss man nicht so gehen!“ 

Während wir GEHEN, haben die mitgereisten Angehörigen ein Treffen mit Dagmar Marth. Wer Sie nicht kennt, sie ist seit vielen Jahren Arm- und Unterschenkelamputiert und in Berlin sehr bekannt, weil sie schon geraume Zeit als Peer im Unfallkrankenhaus in Berlin Betroffene begleitet. Wie wir hören, sind die Angehörigen mehr als begeistert. Schließlich steht immer der Amputierte im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit mit seinen Nöten, aber alle leiden unter solch einer Situation, nur trauen sich die Angehörigen selten Aufmerksamkeit und Hilfe einzufordern, weil sie ja körperlich heil geblieben sind. Super, das all die guten Engel hier ein Forum finden! Später wird berichtet wie gut der Gesprächskreis den Angehörigen getan hat und, dass sich alle eine Wiederholung wünschen.

By the way - EIN HOCH auf Sylvia, Frank und Wolfgang! Danke, dass es Euch gibt, danke für Euer Engagement, danke für diesen KLASSE Verein und danke, dass Ihr an alle denkt! 

Seit einiger Zeit begleitet die Physiotherapeutin Monika Rödel unseren Verein. Und damit die Angehörigen die Chance bekommen, genauso fit und aktiv zu bleiben wie wir Amputierten, lädt Monika sie zu sportlicher Betätigung ein.

Zeit fürs Abendbrot und danach gibt’s Freibier in gemütlicher Runde im Seekeller.

Ein herzliches Dankeschön auch an die wunderbaren und Ideenreichen Menschen, die dieses tolle Haus verwalten, betreiben  und hier für einen unbeschwerten Aufenthalt sorgen.

Am nächsten Morgen erst einmal ein ausführliches Frühstück mit Blick auf den Seddiner See. Frisch gestärkt, möchte Manuela verschiedene Untergründe, Steigungen und abfallendes Gelände mit uns ausprobieren. Es geht hin und her und wieder gibt es viele Tipps.

Dann nehmen Angelika und ihre Begleithündin Aila, ein Golden Retriever, meine Aufmerksamkeit in Beschlag. Sie stürmen in Richtung See. Angelika zeigt Aila, wie sie am einfachsten in den See kommt, Aila käme lieber mit Ihr, aber gelernt ist gelernt, Aila ist ein wunderbarer Begleithund und nimmt den vorgeschlagenen Weg. Dann gleitet Angelika über ein paar Stufen am Steg (Danke an Planer und Erbauer) in den See. Aila ist immer in ihrer Nähe. Nach einigen Minuten ausgiebigen Schwimmens ruft Angelika „Aila hilf“ und sofort ist die Hündin bei ihr und sie kann sich am Halsband festhaltend von Aila aus dem Wasser ziehen lassen. Da die Stufen vom Steg sehr glatt sind, soll Aila lieber einen anderen Weg nehmen und sie gehorcht wie gewohnt, auch gegen ihre bevorzugte Route mit Angelika, und beide kommen gutgelaunt aus dem Wasser. Chapeau Euch Beiden!

Kleine Pause und Dagmar spricht zu uns über Amputationsbewältigung. Dagmar hatte als junge Frau bei einem Unfall ihren linken Unterschenkel und ihren linken Arm verloren. Sie ist eine aktive, positive, freundliche und umtriebige Frau, die mit Ihren Erfahrungen gerne auch andere Betroffene und ihre Familien unterstützt. Sie sagt, Trauer muss und darf sein.  Sie hilft uns bei der Bewältigung und der Verarbeitung von Krankheit und Trauma. Das ist ein Prozess und keiner wird als Held geboren. Hier kommen auch die berühmten Türen ins Spiel, von denen es heißt „schließt sich eine Tür, so öffnet sich eine andere!“, das hat sie in ihrem Leben selbst erfahren. Das Leben bleibt nicht stehen und so banal der Satz klingt von den Türen, so wahr ist er. 

Dagmar zeigt uns einen Zug und in jedem Wagon schreibt sie eine Eigenschaft, die uns am Vorwärtskommen hindert oder unterstützt. Unser Verein zum Beispiel ist eine gute Plattform sich gegenseitig zu unterstützen, Wissen auszutauschen und vorwärts zu kommen. Wichtig ist, Hilfe anzunehmen und auch darum bitten zu lernen. Das fällt vielen von uns schwer, da man sich in unserer Gesellschaft über Stärke definiert. Aber auch das muss ganz klar gesagt werden, wir sind keine Bittsteller, wir sind Menschen mit einem Handicap, haben Rechte und sollen diese Rechte, unsere berechtigten Anliegen und unsere Teilhabe am Leben einfordern!

Nach der positiven Resonanz der Teilnehmer, soll es unbedingt eine Fortsetzung dieser Veranstaltung geben.

 

https://www.ossur.de/

https://www.verygoodknee.de/

http://www.dagmarmarth.de/

Gehschulltrainerin

Manuela Jukiel

Physiotherapeutin                                                                                                    

Monika Rödel

                                                                                                                                

Verfasser: Katharina Spieler

 

 

Haltet Euch schon mal den 03-05.08.2018 in Eurem Terminkalender frei!

( Gehschulworkshop ist in Planung, Sylvia Wehde)

           

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